Wie gefährlich sind Weichmacher? Interview mit Josef Spritzendorfer, Baustoffexperte für Wohngesundheit

Im Februar fanden Forschende einen verbotenen Weichmacher im Kreislauf von Kindergartenkindern – die genaue Ursache bleibt ungeklärt. Es stellt sich die Frage: Wo finden sich noch Weichmacher und wie gefährlich sind sie? Ein Beispiel ist PVC-Boden, der mit Weichmachern hergestellt wird. 

Der Fachjournalist Josef Spritzendorfer ist Gründer der Europäischen Gesellschaft für gesundes Bauen und Innenraumhygiene (EGGBI). Er ist Experte auf dem Gebiet der Wohngesundheit und gibt uns in einem Interview seine Einschätzung zu Weichmachern.

Die neuen Erkenntnisse zu Weichmachern im Kreislauf von Kindern waren für viele besorgniserregend. Wo verstecken sich noch Weichmacher, die man vielleicht gar nicht vermutet? 

Weichmacher finden sich bedauerlicherweise nicht nur in vielen Kunststoff-Bauprodukten wie beispielsweise Bodenbelägen, sondern auch in zahlreichen Produkten des Alltags wie Kleidung, Trinkflaschen, Spielwaren und Haushaltsutensilien aus Kunststoff. Selbst in medizinischen Geräten, Schläuchen in Krankenhäusern, Elektrogeräten und Kassenbons in Supermärkten ist der Stoff zu finden.

Welche Gefahren gehen konkret von Weichmachern aus? 

Hier muss unterschieden werden zwischen einer Vielfalt zahlreicher Weichmacher, von denen manche Krankheiten bis hin zu Krebs verursachen können. Zu den gefährlichsten gehören Phthalate. Weichmacher können auch Dermatitis, Nieren- und Leberschäden verursachen, schädlich für die Fortpflanzung sein und selbst Asthma, Allergien und Auswirkungen auf Hirn- und Nervenzellen wurden inzwischen nachgewiesen.

Kommen Weichmacher noch in Schulen und Kitas zum Einsatz? Etwa bei PVC-Böden? 

Nach wie vor wird vielfach unterlassen, bereits bei Ausschreibungen ausdrücklich den Einsatz gesundheitsgefährdender Weichmacher zu verbieten. Viele Hersteller verweigern aber auch umfassende Schadstoffprüfberichte als Nachweis der Unbedenklichkeit und begnügen sich mit Sicherheitsdatenblättern und Prospektaussagen zur Unbedenklichkeit ihrer Produkte. Besonders in Kitas finden sich aber auch vielfach hohe Weichmacherbelastungen aus Spielwaren und Bodenbelägen, aber auch aus Plastik-Kleidung. Hier hat der BUND- Naturschutz bereits vor Jahren in einer flächendeckenden Untersuchung von Hausstaub aus Kitas erschreckend hohe Konzentrationen nachgewiesen. 

Wie kann es sein, dass einige Weichmacher in Spielzeug verboten sind, aber als Fußboden in Kitas verlegt werden? Besteht hier nicht auch eine Gefahr?

Doch, die besteht. Der Bodenbelag in Kindergärten ist stark strapaziert. Dadurch gelangen beispielsweise bei PVC-Böden auch Weichmacher in die Luft. Die Schadstoffe aus Bodenbelägen setzen sich vor allem im Hausstaub ab und werden insbesondere von Kindern, die vielfach am Boden spielen, verstärkt eingeatmet. Langfristige hormonelle Schäden sind inzwischen nachgewiesen – vor allem die Eigenschaften der Spermien werden hier langfristig nachhaltig geschädigt. Allergiker und Chemikaliensensitive können aber auch unmittelbar mit Symptomen – unter anderem Reizung der Bindehäute und der Atemwege – reagieren.

Einige Weichmacher sind bereits verboten oder streng reguliert. Wie sieht es bei den Weichmachern aus, die bei PVC-Böden Verwendung finden? 

Bei europäischer Ware gehe ich davon aus, dass diese – bisher wenigen – verbotenen Weichmacher tatsächlich nicht mehr eingesetzt werden. Anders sieht es bei asiatischer Importware aus. Aber auch in Deutschland werden statt verbotener Weichmacher nun alternative Stoffe eingesetzt, deren Gesundheitsschädlichkeit in manchen Fällen noch nicht so weit nachgewiesen wurde, dass auch sie verboten werden. So wird beispielsweise statt Bisphenol A nunmehr vielfach Bisphenol S oder Bisphenol F mit ähnlichen Wirkungen eingesetzt – ein Verbot wird vermutlich wieder Jahre dauern. Denn erst wenn eine Schädlichkeit konkret nachgewiesen und in direktem Zusammenhang mit dem Stoff gebracht werden kann, darf ein Verbot ausgesprochen werden. Die Schäden von  Weichmachern sind oft erst Jahrzehnte später nachweisbar – das macht die Regulierung schwierig.

Halten Sie es für vertretbar, überhaupt noch PVC-Boden zu verlegen? 

Eine solche Verallgemeinerung wäre absolut unseriös. Inzwischen gibt es auch Polyvinylböden, die mit unbedenklichen Weichmachern arbeiten. Auch in diesen Fällen sind aber glaubwürdige und umfassende Prüfberichte akkreditierter Institute erforderlich, auch um die zahlreichen weiteren Schadstoffe, die sich oft in und auf Bodenbelägen finden, ausschließen zu können. Selbstgebastelte „Logos“ mancher Hersteller wie z.B. „phthalatfrei“ sind für eine gesundheitliche Bewertung absolut nicht relevant. 

Woran erkennt man den unbedenklichen PVC-Boden?

Für Verbraucher ist er nicht erkennbar. Die Aussagen der Hersteller reichen bei weitem nicht aus und nur wenige sind bereit, belastbare Prüfberichte vorzulegen. Einige bewerben ihre PVC-Böden beispielsweise mit “zu 100% schadstofffrei”. Das ist ein unsinnige Aussage. Produkte ohne Schadstoffe gibt es nicht.

Was können Verbraucher tun, um sich zu schützen? Eine Kennzeichnungspflicht gibt es ja nicht. 

Selbst die Einhaltung der Verbote einzelner Weichmacher ist nicht ausreichend gewährleistet. Vor allem Importprodukte können somit „unkontrolliert“ – insbesondere durch den europaübergreifenden Internethandel vertrieben werden. Auch diverse Gütezeichen decken nicht ein vollständiges aussagekräftiges Schadstoffprüfspektrum ab – viele solcher Gütezeichen werden ja von Herstellerverbänden selbst geschaffen, die Kriterien so entwickeln, dass ein Großteil der Verbandsmitglieder diese Kriterien auch einhalten können. Verbraucher sollten sich daher nicht mit Gütezeichen und Zertifikaten zufriedengeben, sondern vom Händler oder Hersteller definitiv glaubwürdige Emissionsprüfberichte einfordern.

Emissionsprüfbereichte sind allerdings für die meisten Verbraucher zu komplex. Gibt es keine Siegel, denen man vertrauen kann?

Das Eco-Institut Label ist ein vertrauenswertes Abzeichen. Das Institut arbeitet mit einem sehr umfassenden Prüfkatalog und bezieht sich rein auf chemische Zusammensetzungen und Emissionen. Verbraucher sollten unbedingt darauf achten, dass nicht nur das Logo des Instituts verwendet wird, sondern das Produkt auch tatsächlich zertifiziert ist. Das Institut prüft auf Anfrage Produkte auch auf gewisse Stoffe – dies entspricht allerdings keiner vollwertigen Untersuchung und dafür erhält der Hersteller nach der Prüfung auch nicht das Siegel.

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